Was vom Laufen bleibt

2010 lief ich meinen ersten Marathon, 2015 nahm ich an der 100km-WM teil, 2016 ging auf einmal gar nichts mehr. In einem verflixten siebten Jahr stehen keine vernünftigen Wettkampfteilnahmen zu Buche, ich tausche mich nicht über Trainingsmethoden oder die neuesten Schuhe aus, ich frage mich vielmehr, wohin ich mit meinem Hobby eigentlich will, wie ich den Grund für das Ausüben meines Sports aus den Augen verlieren konnte und ob ich tatsächlich vor etwas davon laufe.

Beim ASICS Frontrunner Treffen 2015 in Neuss war die Welt noch in Ordnung
Beim ASICS Frontrunner Treffen 2015 in Neuss war die Welt noch in Ordnung

Ja, es hat auch mich erwischt, ein riesiges Loch, in das ein leistungsorientierter Amateursportler fallen kann, wenn kleine Probleme zu großen Hindernissen werden, die Motivation fehlt und jede Trainingseinheit eine mentale Herausforderung unvorstellbarer Größe ist. Und damit meine ich keinen kleinen Durchhänger sondern einen Zustand, in dem wirklich gar nichts mehr geht. Mich dieser Tatsache zu stellen, hat mir mehr Kraft und Energie gekostet als so mancher Wettkampf.

Phase 0: Ein kleiner heimlicher Breakdown

Winschoten, 12. September 2015. Gemeinsam mit Nationalteam-Kollege Andreas Sageder sitze ich im Zielbereich des 100km-Laufs. Das WM-Rennen bin ich zu Ende gelaufen, gefinisht habe ich als bester Österreicher. Aber was ich mir vorgenommen hatte, konnte ich nicht umsetzen. Ich spüre erst einmal nichts, gähnende Leere, vielleicht noch ein klein wenig Freude, dass es endlich vorbei war. Tage später mache ich mich auf die Suche nach den Gründen für dieses (vielleicht auch nur aus meiner Sicht) nicht zufriedenstellende Ergebnis, analysiere die Vorbereitung und das Rennen, aber so richtig möchte ich mich gar nicht damit beschäftigen.

Gemeinsam mit Andi Sageder (links) im Zielbereich des 100km-Laufs von Winschoten
Gemeinsam mit Andi Sageder (links) im Zielbereich des 100km-Laufs von Winschoten

Und so schnell die Tage eben vergehen, beginnt nur wenig später die neue Saison, an den Grundlagen arbeiten, Regelmäßigkeit ins Training bringen. So richtig schaffe ich es nicht auf Touren zu kommen und einen ordentlichen Trainingsrhythmus zu finden. Irgendetwas stimmt nicht. Naja, vielleicht kommt alles dann mit der Zeit, einfach weiter trainieren, eine ruhige Kugel schieben, Sprüche klopfen und mir somit Motivation und Spaß irgendwie selbst vorgaukeln. Falsch gedacht: Denn auf einmal geht gar nichts mehr. Am Wochenende liege ich kaputt zuhause, geschafft von der Arbeit, keine Lust auch noch die Laufschuhe zu schnüren. Ich habe keine neuen Ziele, möchte nichts vom Laufen wissen, bin ausgebrannt. Breakdown.

Phase 1: Das Nicht-Aufarbeiten-Wollen

Aber ich mache irgendwie weiter, rapple mich noch einmal auf, will es nicht unbedingt wahrhaben, dass ich eine Pause brauche. Kleines Ziel, neuer Trainingsplan, Mut haben. Und was bringt's? Nichts. Tage oder Wochen später wiederholt sich das alt bekannte Durchstarten-Zusammenfallen-Szenario. Und das geht den ganzen Winter so. Erst im März (für den 6h-Lauf in Lasse) schaffe ich es mich aus einem Overkill an "Du musst"-Formeln zu hieven und kann befreit 78 Kilometer runterspulen. Danach fliege ich auf Urlaub. Sehr gut, denke ich mir, als ich nachhause zurückkehre: Was für ein toller Kick-Off, jetzt starte ich endlich wieder durch. Aber was als Funke ein neues Feuer entfachen hätte können, verpufft schließlich in einem geruchlosen Gas-Gemisch in der Luft und hinterlässt nichts als eine schöne Vorstellung in einer fiktiven Parallel-Welt. Bumm. Krank. Couch.

Phase 2: Eine Rund-Um-Erneuerung

Im Nachhinein ist ganz klar, was mir gefehlt hat. Ich musste Abstand gewinnen vom Gefühl laufen zu müssen, weil ich es die letzten Monate auch gemacht hatte. Was in vielen Studien mittlerweile als "Sucht" bezeichnet wird, ist meiner Meinung nach für viele Amateursportler ganz einfach der Drang (manchmal auch der Zwang) etwas tun zu müssen (im Speziellen natürlich trainieren). Viele Amateursportler in meinem Bekanntenkreis hatten dieses Gefühl oder auch diese Phase schon einmal. Alle von denen haben das Problem auf ihre Weise gelöst. Du läufst keine Wettkämpfe mehr, du läufst Wettkämpfe nur mehr aus Spaß an der Sache selbst, du läufst mit neuen Freunden oder der Familie, du läufst der Natur wegen, du läufst gar nicht mehr. Lösungen gibt es also haufenweise. Hinter allen steht aber ein Kerngedanke: Die Einstellung zu einer geliebten Sportart zu überdenken. Schlagartig ändern sich die Umstände nämlich, wenn aus dem Drang etwas tun zu müssen, die Freiheit wird laufen zu dürfen, weil man es kann, und weil man es will.

Tagessieg beim Gunskirchner Marktlauf 2015 vor Stefan Aichinger (links) und Leo Wölflingseder (rechts)
Tagessieg beim Gunskirchner Marktlauf 2015 vor Stefan Aichinger (links) und Leo Wölflingseder (rechts)

Immer wieder werde ich gefragt, wovor ich davon laufe, wem ich damit etwas beweisen möchte oder warum ich mir das harte Training antue. Glaubt mir, ich habe mich das selbst oft genug gefragt und bin schließlich zu einer etwas ausgefallenen Antwort gekommen: Ich laufe, um einen bestimmten Moment im Wettkampf zu erleben. Wenn es dem Ziel entgegen geht und du dich selbst überwinden musst, um etwas zu erreichen. Wenn es dem Ziel entgegen geht und du dich Kopf-an-Kopf mit einem Konkurrenten misst. Wenn es dem Ziel entgegen geht und du ganz genau weißt, das ist der Moment auf den es jetzt ankommt, und du alles selbst in der Hand hast. In einem solchen Moment läuft mir ein Schauer über den Rücken. Denn das ist unbezahlbar. Und wenn man schneller läuft, wird das alles eben noch ein wenig spannender und interessanter. Gerade vor kurzem bin ich auf eine Aussage des ehemaligen Schweizer Langstreckenläufers Markus Ryffel gestoßen, die es auf den Punkt bringt, worum es für mich beim leistungsorientierten Ausüben einer Sportart geht:

"Was bleibt sind nicht die Medaillen,

sondern das, was man dazwischen erlebt hat."

Der Kampf sich auf etwas gezielt vorzubereiten, die Erlebnisse, die man auf dem Weg zum Tag X erfährt und die Begegnungen, die man hat, das sind die Dinge, die mich aufleben lassen und an die ich mich gerne und gut zurückerinnere.

Phase 3: Neue Herausforderungen schaffen

Dass nur mit der Änderung einer Einstellung alles besser wird, glaube ich natürlich nicht. Aber es ist vielleicht die wichtigste Voraussetzung, um erfolgreich zu sein, wie auch immer man Erfolg für sich definiert. Mein nächster Schritt nach der enorm wichtigen Pause und der erfolgten Neuausrichtung (da steckt ja auch schon wieder "Erfolg" drinnen) ist das Schaffen neuer Herausforderungen. Unseren neuen Laufverein LSC Wels/Land zu gründen war sicher Teil dieses Wandels. Im Herbst 2016 werde ich dann auch ein neues Lauf-Projekt in Angriff nehmen. Bis dahin konserviere ich am besten die neu gewonnenen Erkenntnisse und kümmere mich wieder einmal um eine neue Ausrüstung und den nächsten Trainingsplan.

So soll es bald wieder laufen. Und ich auch.
So soll es bald wieder laufen. Und ich auch.